MUSIK UND POLITIK hieß die Medien-Fachtagung der Hanns-Seidel-Stiftung, die am 26.2.88 in München stattfand - ein sperriges Thema. Und auch der Untertitel Bedeutung der Musik im Rundfunk klingt recht harmlos. Des Pudels Kern kam dann vor allem in der hitzigen Diskussion zum Vorschein: das gewaltige Übergewicht anglo-amerikanischer Musik im öffentlich-rechtlichen Hörfunk und mindestens ebenso sehr im Privatfunk. Die Frage ist um so brisanter, als das Jahr 1988 bekanntlich von der EG zum Europäischen Funk- und Fernsehjahr erklärt worden ist und von der EG auch schon einige Quotenregelungen bekannt geworden sind. Angestrebt wird eine Quote von 60% Eigenproduktion.

Daß man in Deutschland davon zur Zeit noch himmelweit entfernt ist, wurde an einigen Zahlen belegt, die freilich nur einen Teil der Misere sichtbar machen. Erich Schulze, Vorstand der GEMA und Präsident der SPIDEM, sprach von einem Rückgang der deutschen Musikschaffenden seit 1950 um 54%. Auf dem Tonträgermarkt ist der Auslandsanteil gegenwärtig bei LPs und MCs 80%, bei Singles 79%. Bei den ARD-Anstalten schwankt der Auslandsanteil zwischen 48 (Saarl. Rundf.) und 64% (NDR). Das nun wäre nicht einmal so schlecht. Schulze wurde jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß beim deutschen Anteil alles Verfügbare zusammengezählt wurde: Volksmusik, Evergreens, Operetten, und eben deutsche Schlager. Der Anteil heute lebender, deutscher U-Musik wurde von Ralph Siegel mit 5% veranschlagt! Genaue Zahlen liegen nicht vor. Das allerdings ist ein dramatisches Mißverhältnis; es spiegelt sich dann auch in der Hitliste, die in den Top- 75 nur vereinzelt deutsche Titel aufweist. Ist also die deutsche Pop- oder Unterhaltungsmusik so schlecht, daß sie nicht gekauft und gespielt wird, oder wird sie nicht gespielt und bleibt deshalb auch in der Produktion hinter ihren Möglichkeiten zurück?

Man befindet sich hier offensichtlich in einem Teufelskreis; unklar sind nur die Stationen, aus denen er besteht. Virulent ist das Problem auch nicht in erster Linie wegen möglicherweise protektionistischer Maßnahmen, die sozusagen zum Schutze des Musikkonsumenten im Hörfunk getroffen werden müßten. Es geht also zuvörderst nicht selbstzwecklich um die Wahrung nationaler Interessen in der Frage der eigenen kulturellen Identität. Das würde den Deutschen leicht übel angerechnet, und das wagen sie deshalb auch schon gar nicht als Rechtfertigung zu benutzen. Formulierungen wie Dschungel musikalischer Kulturlosigkeit (über das allzu ausländisch akzentuierte Musikangebot des Hörfunks) vom Präsidenten des Bayerischen Musikrates, Alexander Suder, sind eher die Ausnahme.

Nein, zum berechtigten Anliegen wird die Dominanz des Auslandes erst mit der Rücksicht auf die Arbeitsmöglichkeiten des Nachwuchses. Während es 1950 noch 50 Plattenfirmen gab, bei denen junge U-Musiker unterkommen konnten, müssen sie sich heute um vier oder fünf, in amerikanischer Hand befindliche Konzerne raufen, die natürlich zuerst an die Vermarktung der amerikanischen Ware denken. Diese Plattenfirmen sind - so die These des Medienkritikers Reginald Rudorf in seinem Referat Musik und Politik - Kann Musik politisch wirken? - Hoflieferanten des öffentlich-rechtlichen Hörfunks. Die 33 öffentlich-rechtlichen Hörfunk-Programme gestalten 9 Millionen Minuten Musik im Jahr und haben ein Inkasso-Monopol im Umfang von 6 Mrd. DM. In den Händen von nur 124 Programmgestaltern liegt die Musikauswahl, und diese gehen den Weg des geringsten Widerstandes. Mit ihrer Praxis des song-plugging 'machen' sie Hits.

Der deutsche Schlager gilt als nicht marktfähig, hat einen notorisch schlechten Ruf. Rodorf verwies auf die politisch-ideologischen Implikationen dieser Sachlage. Der deutsche Schlager wurde vor 1933 zu einem nicht geringen Teil von jüdischen Musikern getragen. Dieser Impuls fehlte 1945. Amerikanischer Swing und Jazz war im Dritten Reich verboten, die deutsche Sprache hingegen wurde gefördert. So bekamen die angloamerikanischen Importe nach 1945 die Aura des Progressiven, Zeitgemäßen, während der deutsche Schlager seither immer und grundsätzlich als Schnulze abgetan und in eine rechte, restaurative Ecke gestellt wurde.

Seitdem gilt der deutsche U-Musiker nichts mehr. Es wurde das Beispiel Fred Rauchs gebracht, dessen Titel Mütterlein seinerzeit kein Erfolg war, dann jedoch in den USA erfolgreich herausgebracht wurde. Die Umtextierung wurde rückübersetzt, und als Import war das Lied dann auch hierzulande erfolgreich. Es wurde auf Dieter Bohlen verwiesen, der 10 Jahre vergeblich deutsche Schlager geschrieben hatte. Erst nach der Transformation ins Englische und im Duo Modern Talking kam der Erfolg. Es wurde Harold Faltermeier erwähnt, der für sich in Deutschland keine Chancen gesehen hatte und daher in die USA auswanderte, sich dort auch durchsetzen konnte; ähnlich handelten Giorgio Moroder, Jack White, Michael Hoffmann u.a.

Mit provinziellem Kleckern ist es nicht getan. Eine Schallplattenproduktion kostet heute 10mal so viel wie früher, und bringt nur ein Zehntel ein. Eine Pop-Nummer läßt sich heute nicht mehr ohne Videoclip vermarkten, und der kostet bei professionellen Maßstäben von 100.000 DM aufwärts - wie der 25jährige Nachwuchsmusiker Thomas Wagner in der Diskussion erläuterte. Die Kostenschere klafft immer weiter auseinander, das Investitionsrisiko ist kaum noch kalkulierbar.

Wenn man das Publikumsinteresse untersucht, in Umfragen, kommt eine hohe Präferenz für deutschsprachige Musik heraus. Gehört wird indes die übliche 'internationale' Musik. So haben auch die meisten Privatsender ihr Programm ausgerichtet. Helmut Markwort mußte mit seinem Regensburger Sender Radio Domspatz freilich erfahren, daß diese internationale Ware 'nicht mehr ging'. Seit der Umstellung auf mehr deutschen Anteil ist die Hörerbeteiligung wieder größer. Das kann auch nicht verwundern, denn lediglich 8% der Bevölkerung sind des Englischen ausreichend mächtig. Der Rest sind 'phonetische Konsumenten'. Diese Musik wird um so leichter gehört, je weniger sie verstanden wird. Verständnis aber ist nicht ohne Inbetriebnahme des Gehirns möglich. Suder verwies in diesem Zusammenhang auf einen Wandel in der Rezeption von Musik: eher Weghören als Zuhören; Musik als bedeutungsloser Schallhintergrund.

Auch Peter Jona Korn, Vizepräsident des Deutschen Komponistenverbandes, beklagte in seinem Referat Musik und ihre Wirkung die Passivität des Musikpublikums, in diesem Falle das der E-Musik. In seinem historischen Rückblick über die Nachkriegszeit stieß er ebenfalls auf eine dirigistische Musikpolitik und wandte sich gegen den herrschenden ästhetischen Leitsatz, wonach die Musik die jeweilige Gegenwart zu spiegeln habe; demnach lasse eine kaputte Zeit nur kaputte Musik zu. Daß hier der Streit der Kunstanschauungen - nicht wenige werden Korns Position für reaktionär erklären - unmittelbar in den Grabenkrieg der Weltanschauungen übergeht, verwundert nicht.

So blieb denn am Ende wenig Hoffnung auf Besserung der Malaise. Die Machtverhältnisse auf dem Markt der Musik scheinen zementiert, jeder fühlt sich unüberwindlichen Sachzwängen ausgesetzt. Für die Privatradios formulierte Henri Zix von Radio Soundtrack - nomen est omen - das Desinteresse an einer Änderung des Musikangebots mit der Bemerkung, man wolle sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der deutschen Komponisten machen. Hellmuth Kirchammer, Leiter der Hauptabteilung beim BR, stellte sich mit seiner beschwörenden Warnung vor der Einschaltquotenhörigkeit gegen sein eigenes Haus - ehrenwert, aber was wird's helfen?

(Gerhard Bachleitner)