Allzu viel Wege zu besseren Fernsehbildern

Der HDTV-Kongreß des Münchner Kreises versammelte am 21. und 22.1.1987 Techniker aus Elektronikfirmen, Programmverantwortliche des Fernsehens und Produzenten der Filmindustrie, Vertreter der Post und Forscher von Instituten und Universitäten. In zahlreichen Referaten wurden die verschiedenen Aspekte des Problems Hochauflösendes Fernsehen beleuchtet. Mit die wichtigste Aufgabe der Veranstaltung sollte gewesen sein, dieses scheinbar 'nur' technische Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bewußt zu machen, denn in Japan wird schon viel intensiver über HDTV nachgedacht. Tatsächlich war der Normentwurf der japanischen NHK der Angelpunkt der Auseinandersetzung, der 'Fehdehandschuh', der den Europäern vorgeworfen wurde (durchaus nicht böswillig, sondern in vernünftiger Fortschreibung der dortigen NTSC-Norm). Wieder einmal ging nicht von Europa die Initiative aus, obschon Philips ebenfalls auf langjährige Befassung mit HDTV verweisen konnte, sondern von den innovationsfreudigen Japanern, die das HDTV-Projekt, wie andere auch - z.B. Computer der 5.Generation - ausdrücklich als nationale Anstrengung verstehen. Zwar übt in den NTSC-Ländern der 525-Zeilen-Standard und die schlechte Farbqualität besonderen Druck zur Verbesserung aus (obwohl es in Japan sehr wenig Großbildfernseher gibt, viel mehr Modelle mit kleiner Diagonale, wo Mängel weniger auffallen). Richtig ist andererseits auch, daß Europa offensichtlich der Innovationswille fehlt. Bögels von Philips verriet das unbewußt: man habe nicht mit allzuviel Energie an dem Problem geforscht, da man keinerlei Übertragungswege für HDTV gesehen habe. Damit ist man wieder beim Problem Henne-Ei; wozu die Übertragungskapazität maximieren, wenn keiner mit erhöhter Bandbreite senden will?

Bei den Videorekordern sind die Folgen dieser abwartend-desinteressierten Haltung schon einmal vorexerziert worden: Video kann Fernsehen ergänzen warb Philips in den frühen 70er Jahren für ihre Recorder, die damals die einzigen waren. Mit solcher Betulichkeit lassen sich keine Märkte erschließen. Die Japaner brachen mit fröhlicher Forschheit ein - und heute gehören ihnen die Märkte.

Auch bei HDTV ist das Erwachen rauh: 1125 Zeilen zu 60Hz sind geboten, 60Hz aber gelten für europäische Verhältnisse als inakzeptabel, weil inkompatibel. Das Fernsehen aber, als Software-Produzent und -konsument, ruft bereits nach Übernahme des NHK-Standards (der auch der amerikanische ist), in der panischen Angst, der internationale Programmaustausch würde sonst behindert (der besteht bekanntlich in der Übernahme amerikanischer und in der englischsprachigen Produktion europäischer Filme). Dafür bietet man sogar eine Abkoppelung der Produktionsnorm von der Ausstrahlungsnorm an - insofern jetzt noch keine Ausstrahlungsnorm festsetzbar sei. Es ist allerdings reichlich blauäugig, zu glauben, daß die Produktionsnorm dann kein Präjudiz für die Ausstrahlungsnorm wäre.

Und schon werden munter technische Parameter je nach Bedarf der eigenen Argumentation unterworfen. Da sind die Frequenzinterferenzen zwischen 60Hz Bildaufnahme und 50Hz Netzfrequenz bei den Beleuchtungskörpern zugleich extrem störend (Ziemer, ZDF) und beherrschbar. Da sind Zweinormen- Videorekorder einmal schon vorhanden, dann wieder schwer realisierbar. Da sind Projektionsfernseher einmal die einzige Rechtfertigung für HDTV, ein ander Mal sind HDTV-Monitore die materielle Grundlage für die Verbreitung von HDTV. Neben den 'Vertretern der reinen HDTV-Lehre' gibt es findige Leute, die allerlei Datenkompressionsverfahren durchrechnen, von einem Datenfluß von über 800 Mbit/s bis herunter zu 70 Mbit/s. Undsoweiter.

Was HDTV so unübersichtlich macht, ist der Umstand, daß z.Z. mehrere Paradigmenwechsel gleichzeitig erfolgen. Zum einen geht das Analogzeitalter ins Digitalzeitalter über. Die CD hat das digitale Qualitätsniveau allgemein bekannt gemacht. Eine digitale Studionorm (fürs jetzige Fernsehen) existiert. Die vorgeschlagenen Datenkompressionen sind essentiell digitale Prozesse, und die Normwandlungen 50/60 Hz und 48/60 Hz (Filmabtastung !) ebenso. Digitale Display-Technik bringt auch heute schon 100 Hz, d.h. Flimmerfreiheit.

Zum zweiten soll die Kathodenstrahlröhre durch ein Großflächenfernsehen abgelöst werden. Telepräsenz, so die neue Erlebnisweise, setzt mindestens 2 m Bilddiagonale voraus. Aber - wird sich jeder eine große Bildwand ins Zimmer stellen wollen?

Drittens geht man gerade von der terrestrischen zur drahtgebundenen und zur Satellitenübertragung über. Koaxkabel ist bandbreitenmäßig ein Engpaß, erlaubt nicht einmal D2-Mac, das Breitband-ISDN dagegen (fast) die Insel der Seligen. Der Satellit ist das einzige, das D2-Mac liefert, HDTV dagegen sieht die Post nicht im 12- und kaum im 22-, sondern im fernen 30 GHz-Band angesiedelt. Viertens kann HDTV den 35mm-Film ergänzen und ersetzen (die Vorführung zeigte, daß es deutlich besser als die Chemie ist, und so votierte auch die überwältigende Mehrheit der Delegierten). Ein Fernsehstandard wird damit unversehens zur Ausgangsnorm für verschiedenste Verwertungsformen visuellen Materials.

Also: eine Unmenge von Variablen, von Wenn-und-abers. Spruchreif ist noch keine Norm, doch die Zeit drängt. Die Europäer sind (hoffentlich) aufgewacht.