Albrecht Ziemer (Hg.): Digitales Fernsehen. Eine neue Dimension der Medienvielfalt. 3., völlig neu bearbeitete Auflage 2003. 312 Seiten. 56 Euro, 91 sFr. ISBN 3-7785-2858-0, Hüthig, Heidelberg

 

Das 1994 in erster und 1996 in zweiter Auflage erschienene Werk wurde nun in dritter, völlig neu bearbeiteter Auflage vorgelegt und auf den aktuellen Stand gebracht. Dabei galt es weniger, technische Neuentwicklungen zu berücksichtigen, als vielmehr, der Marktdynamik Rechnung zu tragen, die ja aus den technischen Möglichkeiten erst auswählt und immer wieder Optionen übergeht oder neue Akzente setzt. Gleichwohl darf sich ein technisch orientiertes Kompendium nicht ausschließlich dem Marktgängigen verschreiben, denn nur vor dem Hintergrund des technisch Möglichen läßt sich beurteilen, welchen Interessen 'der Markt' folgt, wenn er die eine statt der anderen Möglichkeit bevorzugt. Ziemer ist diese Gratwanderung recht gut geglückt. Er beschreibt umfassend den Ist- und gelegentlich den Wird-sein-Zustand, zeigt aber auch Verzweigungen auf, die aus irgendwelchen Gründen (noch) nicht beschritten werden. So wird der ursprüngliche Motor der Digitalisierung des Fernsehens, HDTV, mehrmals erwähnt und als bereit liegende (und in USA und Japan auch schon tatkräftig umgesetzte) Option sichtbar gemacht. Ein anderer Ansatzpunkt, der nicht der Vergessenheit anheimfallen sollte, ist die hierarchische Codierung, S.108+194+205, deren technischer Mehraufwand (Hauptgrund ihres Scheiterns) vielleicht etwas genauer beziffern werden könnte. Daß die Evolution der Technik auch in Politik eingebettet ist und von ihr bisweilen gegängelt wird, ist ein Punkt, den eine Technikdarstellung kaum angemessen berücksichtigen kann, dessen Ignorierung aber an manchen Stellen zu einer verkürzten Sichtweise führt. So sind D2-MAC und HD-MAC, S.14+36-38, nicht ohne die damals massiven französischen Interventionen gerade in Zusammenhang mit den damals aktuellen Direktstrahlsatelliten erklärbar. Wenn beim Kabelnetzverkauf der Telekom nur gesagt wird, daß er sozusagen aus eigenem Antrieb begonnen habe, S. 270, wird übersehen, daß hier die EU den wesentlichen Anstoß gegeben hat. Das Ärgernis der zwischen Europa, Amerika und Japan inkompatiblen Plesiochronen (S.139) und Synchronen (S.143) Digitalen Hierarchie hat sicherlich ebenfalls (industrie)politische Hintergründe.

Der Aufbau des Buches folgt gewissermaßen dem Signalweg. Im ersten Kapitel wird die Produktions-, also Studiotechnik vorgestellt, durchaus auch mit Rückgriff auf die analogen Fernsehsysteme und -aufzeichnungstechniken. Am heutigen Ende dieser Entwicklung stehen das virtuelle Studio und die IT-gestützte Produktion. Das zweite Kapitel widmet sich der Übertragung, d.h. Ausstrahlung auf den drei bekannten Wegen: terrestrisch, Kabel, Satellit. Liest man die Ausführungen zum terrestrischen Fernsehen, S.106-108, vor dem Hintergrund der gerade intensiv diskutierten DVB-T-Einführung in Berlin, findet man wichtige Angaben zur Bandbreiteneffizienz verschiedener Modulationsverfahren und ihrer Fehlerrobustheit. Um aber manche polemischen Einwürfe von interessierter Seite etwa über Feldstärkeanforderungen (vgl. FI 7/2003, S.27) zurückweisen zu können, bräuchte der Leser etwas genauere Angaben zur Sendernetzplanung in Ballungsgebieten.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Endgeräten, deren Entwicklung verschiedene neue Wege eingeschlagen hat: große LCDs, Plasma, OLED, S.231-244. Das vierte, neu hinzugekommene Kapitel sucht die stellenweise undurchsichtige Gemengelage bei Markt, Diensten und Konvergenzprodukten zu sortieren. Hier wird die Technik in ihrer gesellschaftlichen Einbettung, unter Marketing-, Akzeptanz- und Urheberrechtsaspekten betrachtet, und hier, vor den akuten Fragen der Gegenwart, wird auch engagiert, wiewohl sachlich, Stellung bezogen. Man liest vom Irrlicht New Economy und dem Schreckgespenst 'Cablebroadcaster', vernimmt die Botschaft DVB-T bringt mehr u.ä. Daß hier die öffentlich-rechtliche Perspektive von Ziemers ZDF-Mitarbeitern durchschimmert, ist dabei kein Nachteil.

Insgesamt ist hier ein zuverlässiges, technisch profundes und inhaltsreiches Standardwerk gelungen, dem man, wie schon U. Reimers im Geleitwort äußerte, nur weite Verbreitung wünschen kann.

 

Gerhard Bachleitner