Farbe aus dem Computer

Marginalien von Gerhard Bachleitner

Vor kurzem wurde im Fernsehen eine neue - nun ja, Erfindung kann man nicht sagen - eine neue Entwicklung vorgestellt, die wieder einmal "sensationell" ist und "natürlich" aus Amerika kommt, nämlich die digitale Kolorisation von Videofilmen. Das Verfahren ist rasch erklärt, jedenfalls in der dem Laien zugänglichen Dimension. Ein Schwarzweiß-Film wird auf Video überspielt, d.h. in das Punktraster des Fernsehens zerlegt, dann werden den einzelnen Bildteilen Farben zugeordnet, die der Computer herstellt und eine ganze Sequenz lang durch die Tausende von Einzelbilder gewissermaßen verfolgt. Er erkennt Konturen, kann also Flächen im Gedächtnis behalten, und somit ist - für jeden Schauplatz des Films - die Farbauswahl nur einmal nötig.

"Auf solchen Kitsch können auch nur die Amerikaner verfallen," wird man sich mokieren, und die Bonbonfarben, die Technicolor selbst in seinen schlimmsten Zeiten weit übertreffen, gräßlich finden.

Falsch. Die Kolorisation läßt sich nicht als Laune eines ästhetisch Debilen abtun, sondern ist eine der zahlreichen und unvermeidlichen Anwsndungen der Digitalisierung, die den Bereich technischer Kommunikation immer stärker prägt. Man konnte es voraussagen, und so bald die beteiligten Systemkomponenten, Video und Computer, genügend weit entwickelt waren, fanden sie sich also zu fruchtbarer Zusammenarbeit.

"Die Kolorisation ist eine grobe Mißachtung ästhetischer Grundwerte. Schwarzweiß hat seinen eigenen Rang, Reiz und Sinn."

Wieder falsch. Seit Beginn der Kinematographie versuchte man, farbige Bilder auf den Film zu bekommen, Melies hat mit der Hand koloriert, und die heute so ehrfürchtig verehrten Stummfilmklassiker waren keineswegs so nackt schwarzweiß, sondern oft chemisch eingefärbt, dem jeweiligen Ausdruckscharakter entsprechend. Farbe war rhetorisches Mittel. Aus der Not der Farblosigkeit eine Tugend zu machen, fiel erst späteren Filmkritikern ein. Mühsam versucht man jetzt, diese Farbviragen aus den verschiedenen Archiven zusammenzuklauben und die Filme zu rekonstruieren. Es ist wie bei den griechischen Plastiken oder bei den gotischen Kathedralen: wir haben uns an ihre edle Blässe gewöhnt, tatsächlich aber waren sie farbig bemalt und erschienen uns vielleicht in ihrer ursprünglichen Aufmachung wie Disney-Land-Kulissen.

"Die Kolorisation ist für künstlerisch wichtige historische Schwarzweiß- Filme ohne Belang. 'Laurel & Hardy' mag man damit behandeln, aber 'Casablanca' in synthetischen Farben - undenkbar."

Wiederum falsch. Auch die beiden deutschen Fernsehreporter, deren Magazin sich sonst durch durch hemmungslosen Positivismus hervortut, konnten sich eines derartigen Einwandes nicht enthalten. Und der eine Satz, den der Studioboß darauf antwortete, machte auf einen Schlag diesen Irrtum deutlich, zeigte die ganz andere Perspektive, den Mentalitätsunterschied, wenn man will, dem sich die Kolorisation verdankt: "Das ist uns vollkommen egal."

Woher dieses Selbstbewußtsein? Auf Grund von Marktanalysen konnte er behaupten, daß die kolorierte Fassung fünfmal mehr gekauft werde, als die Originalfassung. Und der Markt ist für die Verleihfirmen immer das einzige Argument gewesen. Das Lamento um die Filmkunst ist sohin doch eher 'blauäugig' (um mit einem modischen Begriff zu reden). Tatsächlich hat der Verleih von 'Casablanca' verlauten laasen, daß dieser Film der erste sein werde, den man kolorieren werde. Der Grund ist leicht durchschaubar: 'Casablanca' gehört zu den meistgespielten historischen Filmen. Durch die Kolorierung bekommt er ein neues Copyright, Und der Verleih verdient wieder daran.

Weshalb muß die Kolorisation als Import auf uns zukommen, warum hat in Deutschland niemand die Initiative ergriffen, Computer und Kino zusammenzubringen, oder auch Computer und Graphik? Man empfand es als so fremd, daß die erwähnten Reporter den Begriff nicht einmal übersetzten, sondern als vermeintliohen Fachbegriff englisch stehen ließen: colorisation. Das ist ein zumindest fahrlässiges Vorgehen, im übrigen wohl eine journalistische Berufskrankheit - sich mit fremden Federn schmücken -, aber es weist auch auf einen hierzulande herrschenden Mangel an kreativer, assoziativer, im weiteren Sinne künstlerischer Arbeit mit dem Computer hin. Als ob ein Tabu, eine Verbotstafel 'Berühren verboten' den spielerischen Umgang mit der Maschine untersagt hätte. Weshalb macht man sich nicht zum Herrn der technischen und gesellschaftlichen Veränderung, sondern wartet, bis das fertige Produkt aus den Händen der Amerikaner vollendete Tatsachen schafft?

Wir verfügen weder über eine Spitzenposition in der Computertechnologie, noch über eine nennenswerte, geschweige imperiale Filmindustrie. Man kann sich zu der großangelegten Marktstrategie der Amerikaner keinen größeren Gegensatz denken, als die streng filmphilologische Arbeit, die hierzulande seit neuerem an der Rekonstruktion der Farbfassungen von Stummfilmen geleistet wird, z.B. am 'Caligari'. Da werden 'Lesarten' verglichen, und die Edition folgt dem Leitbild einer wenn schon nicht historisch- kritischen so doch kritischen Ausgabe, d.h. auch offensichtliche und nachträglich entstandene Fehler bleiben stehen. Das ist spannende Gelehrtenarbeit, die in entsprechenden Kreisen wohl auch Ruhm einbringt, für die Entwicklung des Kinos aber nur eine marginale Rolle spielt. Was man der Kolorisation als Mangel zurecht anlasten mag, ist, daß der technische Aufwand noch nicht hoch genug getrieben wird. Die Computersimulation realer Gegenstände hat inzwischen erstaunliche Perfektion erreicht, hinter der allerdings sehr viel Arbeit steckt. Für die Herstellung eines einzigen Bildes können Tage an Rechenzeit nötig sein. Besonders die Lichtreflexe, die ja wesentlich für den naturgetreu räumlichen Eindruck sind, kosten Mühe, zumal bei unregelmäßigen Flächen. Eine im Gehen knitternde Hose oder im Winde raschelndes Laub werden zu fast 'übermenschlichen' Problemen.

Wenn auch die Kolorisation nicht das ganze Bild, sondern nur die Farbe erzeugen muß, ist die Farbe doch ein empfindlicheres, lebendigeres Gebilde, als daß es mit der planen Einfärbung von Flächen getan wäre. Natürlich macht man sich für die kommerzielle Kolorisation nur so viel Mühe, daß das Endprodukt gerade eben vom Publikum akzeptiert, bzw. toleriert wird. Und der amerikanische Publikumsgeschmack gehört bekanntlich nicht unbedingt zum anspruchsvollsten.

Die Farben - soweit sie in den kurzen Beispielen im Fernsehen zu beurteilen waren - bleiben flächig, wirken immer synthetisch und fallen aus der Bildkomposition heraus. Am erträglichsten sieht die Kolorierung noch bei Filmen aus, die im Studio in gleichmäßigem, normierenden Licht entstanden sind. Künstlichkeit zu Künstlichkeit. Filme des Realismus nachzubearbeiten, scheint zwar schwer vorstellbar, aber wahrscheinlich werden wir auch das erleben. Im übrigen wäre es für die Kolorierer sicher eine sehr gute Übung, sich einmal einen echten Farbfilm bei ausgeschalteter Farbe vorzunehmen, ihn zu färben und das Ergebnis mit dem Original zu vergleichen. Bedeutende farb- und wahrnehmungspsychologische Einsichten müßten sich dabei gewinnen lassen.

Grundsätzlich wäre gegen das Verfahren, in seiner technisch möglichen Vollendung, kaum etwas einzuwenden, man könnte sich darüber nur wie über ein hübsches Geschenk freuen. Was der kommerziellen Version fehlt, ist die organische Räumlichkeit im neuen Bild. Die nachträglich hinzugefügte Farbe ist ja nicht eine Absorptionseigenschaft eines Körpers, sondern ein lediglich rezeptionelles Phänomen. Sie entstand nicht in Auseinandersetzung mit dem Licht, und dem Schatten, sondern versucht, die Realität ohne Kontakt mit der Materie für den Betrachter nachzubilden, auf gleichsam parthenogenetischem Wege. Auch hier ist also die Tendenz der ganzen Gesellschaft - der Evolution, wenn man will - zur Entmaterialisierung und Abstraktion vorzufinden. Diese Entwicklung sollte man wertfrei betrachten, denn sie entzieht dem Menschen nicht nur den Umgang mit der stofflichen Welt, oder, um es modischer auszudrücken, bringt einen Verlust an 'Primärerfahrung' , sondern eröffnet andererseits neue Spielmöglichkeiten, schafft neue Welten. Und der Mensch ist nach einer klassischen Einsicht der Anthropologie, das Wesen, das Welt hat, nicht nur Umwelt.

Im Ganzen betrachtet ist die Kolorierung von Schwarzweiß-Filmen ein vergleichsweise harmloses Unternehmen - ähnlich der Stereophonisierung monauraler Schallplattenaufnahmen. Die ästhetische Revolution steht erst noch bevor: die freie Verfügung über jeden beliebigen Bildinhalt im Film (und Klanginhalt bei Schallplatten). Auch hier ist die Digitalisierung Voraussetzung. Man kann jede Person, jeden Gegenstand, aus dem Zusammenhang lösen und in neue Zusammenhänge stellen, und man wird nicht nur vorhandenes Material unverändert übernehmen, sondern wird es nachbearbeiten, die Mimik eines Gesichts verändern, neue Reaktionen generieren. Man wird Greta Garbo und Humphrey Bogart zusammen auftreten lassen, Hitler könnte ein staatsmännisches Gespräch mit Ronald Reagan führen, und in einem synthetischen Fußballmatch wird die deutsche Nationalelf endlich ihre Gegner an die Wand spielen.

Lassen wir's mit diesen mehr oder minder amüsanten Visionen bewenden, in der beruhigenden Überlegung, daß nicht alles technisch Mögliche auch ästhetisch realisiert wird, sondern nur das, was einen nennenswerten Markt verspricht, also von einem gewissen allgemeinen Interesse ist.