Kabelfernsehen als Medienzukunft?

Die derzeit heftige Diskussion um das Kabelfernsehen ist durch das Aufeinandertreffen von drei Grundsatzentscheidungen wesentlich bedingt:

1. Entscheidung zum Netzaus- und -aufbau bei der Bundespost

2. Entscheidung über die Ergänzung der öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch kommerzielle Anbieter

3. Entscheidung über den Aufbau nationalstaatlicher Mediensouveränität

1. a) Expansion

Als Haupttriebfeder des Kabelfernsehens tritt gegenwärtig die de jure nur als Vermittler fungierende Bundespost auf. Mit scheinbar innovativem Elan treibt sie die Verkabelung voran, wobei der Elan durchaus auch Grundsätze betriebswirtschaftlicher Planung über den Haufen rennt. Das müßte nicht einmal von Übel sein, da sich eine Innovation naturgemäß nicht betriebswirtschaftlich exakt eingrenzen läßt (sonst wäre sie ja eine bloße Fortschreibung) - wenn es sich um eine 'gute', um die richtige Sache handelte.

Durch die immer länger werdenden Entwicklungs- und Markteinführungszeiten moderner Technologie bekommt ein immer größeres Stück der Zukunft Gegenwartspräsenz. Das erleichtert die Planung (durch Trendabschätzung) indes keineswegs, weil Optionen ja nicht aktuelles Handeln ersetzen. Zwischen 'technisch möglich' und 'wirtschaftlich sinnvoll' breitet sich ein Entscheidungs- spielraum aus, in dem die verschiedensten Interessen anzusetzen versuchen.

Das Interesse der Post richtet sich

I.) auf intensivere Nutzung bestehender Netze

II.) auf den Aufbau neuer Netze.

Dies entspricht dem klassischen Gedanken wirtschaftlicher Expansion. Nachdem die alten Produkte, das Telefonnetz und das Richtfunk- und Sendernetz für die FS-Ausstrahlung, den Sättigungsgrad erreicht haben, sucht man Bedarf für ein neues Produkt. Ob diesem Bedarf ein Bedürfnis entspricht, steht dabei nicht zur Debatte.

Fraglich ist schon der technische Bedarf für eine Breitbandverkabelung in Kupferkoaxialtechnik. Immerhin hat die Entwicklung der drahtlosen Nachrichtenübertragung seit Marconis Tagen große Erfolge zu verzeichnen: Lang- und Kurzwellen, UKW, Stereophonie, Fernsehen, Farbfernsehen, (digitale) Satellitenübertragung. Diese Entwicklung entspricht einer Tendenz zu immaterieller technischer Interaktion, wie sie z.B. in der Aufzeichnungstechnik mit der Abkehr vom mechanischen Abtastprinzip ablesbar ist. Ebenso ist die Gesellschaft als Ganzes durch eine Tendenz zur (immateriellen) Informationsgesellschaft gekennzeichnet.

Die technische Qualität des Kabelrundfunks ist keineswegs über alle Zweifel erhaben. Im Hörfunk verschlechtert sich auf Grund der Netzstruktur die Empfangsqualität gegenüber optimierten Einzelantennen, wie Hifi-Fans feststellen konnten (und von der Post nicht widerlegt wurden. "Die Empfangsqualität der ortsüblichen Sender kann durch Breitbandkabelanlagen im Vergleich zum Direktempfang nicht verbessert, sondern wegen der in Reihe geschalteten Verstärker nur verschlechtert werden." stellten Techniker des Hessischen Rundfunks fest. Stereoplay 6/84, S.54).

Wodurch also sollte eine Rückkehr zur drahtgebundenen Übertragung motiviert sein? Das Siemens-Patent für Koaxialkabel ist 1oo Jahre alt - und jetzt wäre diese Technik reif für die Verwirklichung? Wahrscheinlich hätten wir inzwischen eine brauchbare Lösung, wenn sich das Fernsehen in den 3oer Jahren organisch hätte weiterentwickeln können. Zu den Olympischen Spielen 1936 richtete man Koaxialnah- und Fernverbindungen ein, weil sich eigene Sender noch nicht rentiert hätten. In anderen Ländern ging man mit der Alternative Kabel oder drahtlos eher pragmatisch um, so daß dort vielfach beides nebeneinander besteht, z.B. in den USA, wo 1948 die erste Kabelanlage eingerichtet wurde.

 

Demgegenüber hat die Verkabelung heute in Deutschland, bei voll ausgebautem öffentlichen Fernsehnetz, den Charakter einer Weltanschauungsfrage angenommen. Die Post tritt als Fürsorgeinstitution auf, die total und ein für alle Mal die Medienbedürfnisse des Bürgers verwalten will. Sie füllt damit - abgesehen von ihrem eigenen Monopolrausch - wohl auch das mediale Machtvakuum aus, das durch die föderalistische Verzettelung der Medienhoheit auf die Länder entsteht.

b) Die Zwischenlösung

Die Post selbst gesteht zu, daß die Kupferverkabelung eine Zwischenlösung bis zu der Zeit (das soll 1992 sein!) darstellt, in der die Glasfaser "zur Verfügung steht". Dieser Begriff ist allerdings dehnbar, hängt von dem Engagement ab, mit dem man sich der neuen Technik widmet. Und damit ist es wohl nicht so weit her, denn während z.B. die japanische Post 75oo Forscher und Entwickler beschäftigt, sind es bei der Bundespost gerade eben 3oo; die übrigen Forschungbeträge stammen von Wissenschaft und Industrie. Tatsächlich beschäftigt sich z.B. Telefunken schon seit 2o Jahren mit der Glasfasertechnik, das Know-how wäre also da. Der Markt allerdings, d.h. der von der Post realisierte Bedarf, kümmert vor sich hin: man rechnet mit maximal 7o.ooo km pro Jahr (Telefunken), in den USA hingegen werden 6oo.ooo km pro Jahr angestrebt.

Bei dieser Zurückhaltung der Bundespost spielen nicht nur Verflechtungen mit dem Kupfermarkt eine Rolle, sondern wohl auch eine Art Schwellenangst vor der so ganz anderen Technik. Die Kapazität der Glasfaserübertragung ist so viel größer als die der herkömmlichen Technik, daß man noch nicht genau weiß, welche Nachfrage für diesen gesteigerten Informationsfluß entstehen wird. Die Neigung zu konservativen Lösungen hat der Post allerdings schon einmal eine Pleite beschert, nämlich mit dem EWS von Siemens. Die Evolution der Elektronik geht so rasch vor sich, daß sich ihre Ergebnisse überlagern. Es kann daher, bei entsprechend langfristiger Planungsperspektive, sinnvoll sein, Zwischenstufen zu überspringen. Mehr als eine Zwischenstufe kann die Kupferverkabelung nicht sein.

Sie steht nämlich heimatlos in der zukünftigen Netzstruktur, dem zweigeteilten 'dienstintegrierten Digitalnetz' ISDN. Dessen schmalbandiger Teil hat als Hardware das Telefonnetz, der breitbandige wird in Glasfaser realisiert, und beides werden Vermittlungs- d.h. Dialognetze sein. Daß dazu und sofort noch ein breitbandiges Verteilnetz treten müsse, läßt sich kaum begründen.

Materielle Verteilnetze sind nur bei Übertragung materieller oder äquivalent energiehaltiger Güter ökonomisch (Wasserleitungsnetz, Erdgaspipelines, Stromnetz). Gemessen am bisherigen drahtlosen Verteilnetz des Rundfunks ist die Kupferverkabelung zu aufwendig, und als Verteilnetz haften ihr die Nachteile der Unidirektionalität und der monopolistischen Steuerung an.

Die Evolution der Kabelprojekte selbst hat den fossilen Charakter der Kupferverkabelung gezeigt. In der Anfangsphase der Projekte war viel vom sog. Rückkanal die Rede, durch den dem Verteilnetz ansatzweise der Nachteil der Unidirektionalität genommen worden wäre. Und wie im Technischen ein Dialog möglich geworden wäre, war gedacht, mit dem Kabelfernsehen einen intensiveren sozialen Dialog herbeizuführen. Das Lob des Lokal- und Bürgerfernsehens wurde und wird gesungen.

Beide Absichten erweisen sich als illusorisch. Der erwähnten zweiteiligen Netzstruktur entprechend gliederte sich der Rückkanal ins Telephonnetz aus und macht(e) als Btx Karriere.

Schwarz-Schillings trotziger Versuch, diesen Rückkanal und andere schmalbandige ISDN-Dienste (wieder) ins Kupferverteilnetz zu verpflanzen, würde eine einschneidende Degeneration des gesamten Systems bedeuten.

Die idealistischen Inhaltskonzepte zerstieben vor der finanziellen Realität. Je 'lokaler' ein Programm, desto weniger ist es finanzierbar, und nur die Großen der Medienbranche werden die lange Durststrecke durchhalten. Die Tendenz geht zu Programmen internationalen Zuschnitts, für die die Satelliten die angemessene Verteilposition sein werden.

c) Monopol und Kontrolle

Während beim drahtlosen Rundfunk die Post nur gegenüber den Rundfunk-Anstalten als Bereitsteller von Übertragungsanlagen auftritt und einen damit institutionell gleichwertigen Gegner hat, tritt sie beim Kabelfernsehen dem Teilnehmer direkt gegen- über. Während der Einzelantennenbesitzer selbst entscheidet, welchen Empfangsaufwand er treiben will, welche Programme er haben will, bleibt der Kabelabonnent auf das Angebot der Post angewisen, und das ist bei aller scheinbaren Fülle doch nicht so groß, daß nicht noch Wünsche offen blieben. Das Kabelnetz ist auch als Instrument politischer Reglementierung zu gebrauchen, wie an der Nichteinspeisung von RTL abzulesen ist.

Ferner gestattet der Anschluß des Teilnehmers mit einem Verwürfler (Scrambler) und 'fernadressierbarem Teilnehmerkonverter' (FAT) lückenlose Gebührenkontrolle, wie sie dann auch Voraussetzung für das PayTV ist.

Die Ambivalenz technischer Rationalität läßt sich an einem Detail des Bigfon/Bigfern-Projektes gut demonstrieren. In dem von SEL erprobten Modus der Glasfasertechnik ist für Fernsehen neben dem Bildtelefon nur ein Kanal vorgesehen. Dahinter steht die Überlegung, daß der Teilnehmer nur jeweils ein Programm 'gleichzeitig' sieht. Die Auswahl der Programme wird dann in eine Art Vermittlung delegiert, in der (beliebig viele) Programme zur Verfügung stehen. Technisch rational ist die Überlegung, daß der Übertragungsweg damit von Redundanz befreit wird, daß Kapazität eingespart wird. Trotzdem bereitet die Vorstellung, die persönliche Medienhoheit nicht mehr gegenständlich-unmittel- bar, sondern vermittelt auszuüben, nicht geringe Bedenken. Denn während der Telefonverkehr zur geschützten Privatsphäre gehört, unterliegt das Massenmedium Fernsehen als wichtigster Meinungs- und Weltbildvermittler massiven Einflußversuchen verschiedenster Gruppen.

2.

Ebenfalls an die Sättigungsgrenze ist das System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gestoßen. Die Anstalten, zunehmend politischen Regreßansprüchen ausgesetzt, gelten als immobil und ineffektiv, d.h. zu teuer. Ihr Widerstand und ihre Trägheit gegenüber technischer Innovation (vor allem bei der föderalistischen ARD) hat sich zuletzt bei der Einführung des Stereo-Tons erwiesen. Die Medienpolitik der sozialliberalen Regierung mit ihrer z. T. als aggressiv empfundenen Verteidigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkverfassung provozierte notwendig Angriffe auf eben diese Verfassung. Aus einem Organisationsproblem wurde in bekannter deutscher Tradition ein Glaubenskrieg gemacht.

Tatsächlich geht es bei der Zulassung kommerzieller Anbieter um den Verzicht auf gesellschaftspolitische Aufgaben des Rundfunks. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde als Teil der Fürsorge des Staates für den Bürger begriffen, andere Einflüsse auf das Programm als die der Parteien a priori als schädlich deklariert. Daß kommerzielles Fernsehen mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechend den Erfahrungen anderer Länder zu einer Niveauverflachung des Programms führen wird - weil Kultur kein selbstverstärkender Prozeß ist -, kann kein Argument gegen die Emanzipation des Informationsbedürfnisses (Information im technischen Sinne verstanden) des Bürgers von staatlicher Fürsorge sein.

Der geschilderte Prozeß hat alle Ähnlichkeit mit der Emanzipation des neuzeitlichen, naturwissenschaftlichen Geistes aus der theologischen Obsorge der Kirche. Die Kirche, per definitionem im Besitz des 'Heils', konnte nicht zugeben, daß Wahrheit auf einem `Markt, (dem des Experiments), zu finden oder herzustellen sei; sie mußte das empirische Konzept der Wissenschaft als Niedergang in menschliche Fehlbarkeit auffassen.

Vergleichbar sind auch die Methoden zur Aufrechterhaltung des Wissens- /Heilsmonopols: Funktionärselite, Pfründenwesen, zunftmäßige Restriktion verfügbarer Arbeit (Frequenzknappheit.

Daß ihretwegen keine weiteren (drahtlosen) Rundfunkprogramme möglich seien, ist eher Schutzbehauptung als Faktum).

Alle pädagogisch maskierten Einwände gegen Programmvielfalt sind auf eine lediglich kulturpessimistische Grundhaltung zurückzuführen. Sie verkennen die Veränderung, die 'das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit' erfährt. Was W. Benjamin im gleichnamigen Essay für den Film festgestellt hat, gilt tendenziell für alle medialen Umbrüche: Handschrift- Buchdruck, Theater-Film, Film-Fernsehen. "Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches Übungsinstrument." (Werkausgabe Suhrkamp Bd.I,2 S.5o5). Das jeweils neue Medium ist dem jeweils älteren an Verfügbarkeit überlegen und entsprechend an Singularität unterlegen.

Der Streit um die rechtliche Organisation des Rundfunks wird durch die spezifisch deutsche Aufteilung der Rundfunkverantwortung überlagert: die `Programmhoheit üben kraft Kulturhoheit die Länder aus, die `Netzträgerschaft liegt bei der monopolistischen Post. Dabei unterstützt der kapitalistisch denkende Monopolist die Kommerzialisierung des Rundfunks, weil er seine Netzkapazitäten füllen will.

3.

Für den Einflußverlust im terrestrischen Rundfunk scheint der Staat im Satellitenrundfunk einen Ausgleich zu erhalten. Per Satellitenprogramm definiert er sich gegenüber anderen Nationalstaaten als medial autonom. Diese neue Souveränität ist allerdings noch etwas im luftleeren Raum angesiedelt (im Wortsinne); der Direktempfangssatellit hat keine Lobby im Gegensatz zu dem von der Post gemanagten Fernmeldesatelliten, der ihrem eigenen Kabelnetz zuarbeiten soll. Nutznießer des Direktempfangs wäre "nur" der Endverbraucher, der mit der 'Schüssel auf dem Dach' aller Anbindung und Kontrolle entgehen würde.

Niemand weiß bislang, welchen Platz das neue Übertragungsverfahren einnehmen wird, wie Finanzierung und Gebührenstruktur aussehen, ob Scrambler sinnvoll sind, und ob die Post diese Konkurrenz ihrer eigenen Verkabelungspolitik dulden wird.

Der Direktempfangssatellit schwächt die Rechtfertigung der Post für ihre Verteilnetz-Verkabelung weiter. Und wie sich am Beispiel des luxemburgischen Coronet-Projektes zeigt, setzt der Markt die technisch ökonomischere Lösung dort durch, wo das offizielle staatliche Programm, TV Sat1, wegen 'administrierter Interessen' nur vor sich hin kümmert. Der Coronet- Satellit verspricht durch bessere (amerikanische) Hardware eine günstigere Kostenstruktur und lockt damit die größten privaten Anbieter an.

Das Bündnis des Zwergstaates mit privaten Anbietern macht einen Mechanismus im künftigen Mediengeschäft deutlich: der Staat stellt seine Mediensouveränität, den ihm von der EG zugestandenen Satelliten zur Verfügung, die privaten Programmveranstalter suchen das Distributionsangebot, das ihre Programmwünsche am schnellsten und ohne weitere bürokratischen Hemmnisse verwirklicht. Der ursprüngliche (idealistisch/ideologische) Entwurf, jedes Land per Satellit seine kulturelle Identität medial repräsentieren zu lassen, ist damit ausgehöhlt, bzw. auf seine tragfähige Substanz reduziert. Die Entfaltung nationaler Medienidentität unter staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Kontrolle hat sich gegen die aufkommende Konkurrenz privatwirtschaftlich organisierter Programmveranstalter zu behaupten. Es ist zu erwarten, daß diesem Wettbewerb wenigstens die technisch rückständigen Teile des postalischen Medienkonzeptes zum Opfer fallen.