Orchestertranskriptionen 2

Schubert und Brahms

Man kann mit sehr unterschiedlichen Verfahren zu einem Klavierkonzert kommen, wenn man der musikalischen Überlieferung eines abtrotzen will. Beethoven hat sein Violinkonzert zu einem (sehr spartanischen) Klavierkonzert umgebaut, Brahms ist posthum das gleiche widerfahren, und Eduard Künneke hat eine Klaviersonate Schuberts mit Orchester umkleidet.

Johannes Brahms: 3. Klavierkonzert, nach dem Violinkonzert op. 77

Dejan Lazics Transformation des Violinkonzertes für Klavier ist sehr ehrgeizig, was einerseits sehr für den Pianisten spricht, andererseits Kritik nicht ausschließt. Alle von ihm zur Rechtfertigung seines Vorhabens angeführten Argumente kann man anerkennen, und Brahms selbst hätte zweifellos nichts gegen eine solche Zweitverwertung gehabt. Er hätte nach einer Aufführung zum Pianisten aber wohl gesagt: "Junger Mann, haben Sie früher als Gewichtheber gearbeitet? Warum stemmen Sie auf dem Klavier soviel Gewichte? Schauen Sie mich an: ich habe Masse genug, ich muß nicht alles dem Klavier aufladen."

Lazic hat für die geigerische Idiomatik allenthalben sehr überzeugende pianistische Korrelate ausgearbeitet und damit seiner musikalisch breiten Bildung und seinem Stil- und Formbewußtsein ein vorzügliches Zeugnis ausgestellt. Solch kreative Pianisten sind heutzutage ja sehr selten. Es ist zu hoffen, daß seine Arbeit auch bald im Druck vorgelegt wird. Weniger zufrieden wird man mit der Kadenz sein. Sie überzeugt nicht und ist formal nicht ausgewogen. Da war ihm sein Ehrgeiz bereits im Wege, denn er hätte ja leicht mit den bereits entwickelten Korrelationen die Joachim'sche Violinkadenz adaptieren können.

Man kann den Wagemut aber auch weitertreiben und sich Beethovens freche Selbsttransformation in seiner Klavierkadenz zum Vorbild nehmen, also: alla marcia alla breve mit Pauke - und hätte damit gleich zwei Komponisten ironisiert und geehrt. Das rhythmische Modell für die Taktumformung gibt es bereits, im A-Dur-Rondo D 951 für 4 Hände von Schubert. Es ist auch melodisch dem Brahms'schen Material recht nahe.

Lazic glaubt, vielleicht in jugendlicher Kraftmeierei, dem Klavierpart so viel Masse und Schwierigkeit wie möglich aufladen zu müssen, hat oft offenbar Angst, als anämisch einsaitig abgetan zu werden - was Beethoven übrigens nirgends beunruhigt hat. Lazic unterstellt Brahms gewissermaßen Liszt'sche Extrovertiertheit, und das wird Brahms nicht ganz gerecht. Lazics Solist absolviert gewissermaßen ein Lauftraining mit Zusatzgewichten. Man bräuchte die Massen nur auf Normalmaß zu reduzieren, wobei das zweite, nicht erste Klavierkonzert Vorbild sein sollte, und hätte ein sehr schönes Parallelwerk.

Franz Schubert: Klaviersonate D-Dur, D 850, Bearbeitung für Klavier und Orchester von Eduard Künneke

In den letzten Kriegsjahren, wie es heißt, hat der Operettenkomponist Eduard Künneke Schuberts lebensfrohe Klaviersonate in D-Dur, D 850, nicht nur orchestriert, sondern in ein Konzert für Klavier und Orchester verwandelt. Mangels Quellen läßt sich nichts über die Motive für die Wahl des Sujets und der Form sagen. Die Sonate ist nirgends für die Konzertform disponiert, und Künneke strebt diese auch nicht an. Es gibt also keine Orchesterexposition, Solistenexposition, Kadenz, auch keine Pianistenvirtuosität, und kaum Dialogisieren zwischen Solist und Orchester. Lediglich die Wiederholung des Andante-Themas nutzt Künneke für solch einen Effekt. Ansonsten verteilt er das musikalische Geschehen undramatisch auf die Klanggruppen und läßt den horizontalen Verlauf unangetastet. Das Klavier läuft die meiste Zeit mit, als brauche der Komponist stets die Beglaubigung durch das Original. Das Ergebnis ist also kein Konzert für Klavier und Orchester, sondern ein Symphonisches Konzert mit Klavier. Das Orchester kann sich nicht entfalten, weil das Klavier ständig mitredet, und das Klavier erhält vom Orchester dann auch keine befreienden Impulse. Die Instrumentierung ist streicherbetont und sehr kompakt. Erstaunlich wenig Gebrauch macht Künneke von den Hörnern, auf die Schuberts Klavier doch so oft anspielt. Tatsächlich enthält diese Sonate so deutliche orchestrale Anwandlungen, daß eine Orchestrierung allemal gerechtfertigt ist. Der Finalsatz erinnert mit seiner trocken-metronomischen Begleitfigur an Haydns Symphonie Nr. 101, die Uhr, und will mit seiner zierlichen Attitüde offenbar altmodisch wirken. Hier müßte entsprechend Haydn'scher Witz oder biedermeierliche Koketterie entfaltet werden. So könnte man sich etwa beim Ritornell ab Takt 195 das Thema in der Flöte vorstellen, die ihrerseits einen Koloratursopran mit seinen unermüdlichen Sechzehntelketten imitiert.

Die einzig zugängliche Einspielung ist ein Rundfunkmitschnitt von 1960, in dem Franz Marszalek mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester den Solisten Willi Stech begleitet. Die akustische Qualität läßt sehr zu wünschen übrig, aber auch interpretatorisch muß man viele Abstriche machen. Mit befremdlicher Robustheit gehen die Protagonisten über Details hinweg, disponieren keine Formverläufe, ignorieren klangliche Differenzierungen. Das Andante atmet in keinem Takt die Ruhe, aus der Schubert entweder in Abgründe stürzt oder sich zu Höhepunkten aufschwingt. Der ganze Satz wird lieblos heruntergenudelt. Dem Finale fehlen Witz und Ironie. Das Werk klingt wie die Tonspur zum Dreimäderlhaus-Film und zeugt von dem älteren Schubert-Bild, das den Komponisten nicht symphonisch ernst genommen hat. Erst nach 1960 begannen sich hauptsächlich Pianisten mit der Subtilität von Schuberts Musik auseinander zu setzen, und später wurde man auf die faszinierenden Symphoniefragmente aufmerksam. Eine Neuaufnahme der Bearbeitung wäre also wünschenswert.

Biblio-/Diskographie

Johannes Brahms: 3. Klavierkonzert nach dem Violinkonzert op. 77. Bearbeitung Dejan Lazic (ungedruckt)

Bei Simfy.de:

Dejan-Lazi-Robert-Spano-Atlanta-Symphony-Orchestra/albums/1038006-Brahms-Piano-Concerto-No-3-in-D-Major-after-Violin-Concerto-Op-77

Franz Schubert: Klaviersonate D-Dur, D 850, Bearbeitung für Klavier und Orchester von Eduard Künneke (ungedruckt)

https://www.youtube.com/watch?v=N04lSCquEcQ