Götterdämmerung auf Herrenchiemsee - die Ludwig-II-Ausstellung 2011

Imagination und Inszenierung – das Königtum Ludwigs II. von Bayern

Mit der Ausstellung Götterdämmerung erinnert das Haus der Bayerischen Geschichte an den Märchenkönig Ludwig II. In den im Rohbau verbliebenen (und für eine Ausstellung nicht eben optimalen) Räumen von Schloß Herrenchiemsee wird der Lebensabriß des faszinierenden Monarchen gegeben. Ludwigs Außenwelt, die politischen, ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen seiner Zeit, werden naturgemäß stärker beleuchtet als seine Innenwelt. Tatsächlich - der König und seine gebauten Träume bleiben ewig jung, seine prosaischen Zeitumstände dagegen müssen erläutert und nachbuchstabiert werden, weil sie den geschichtsvergessenen Nachkommen nicht mehr gegenwärtig sind.

 

Gunst und Last der Jugend

An Ludwig lassen sich Aufstieg und Niedergang eines Menschen im Laufe der Lebensbahn exemplarisch studieren. Mit 18 Jahren der kometenhafte Aufstieg, die durch des Vaters frühen Tod nötig gewordene Übernahme des Königsamtes. Die altersentsprechende Schönheit macht ihn unversehens zum Modellmonarchen und legt den Grundstein seiner späteren, fast mythischen Verehrung. Daß er als Staatsoberhaupt unreif ist, kann nicht verwundern, denn wie stünde ein heutiger 18jähriger G8-Absolvent an gleicher Stelle da? Andererseits wäre der Erfahrungsmangel kein Hindernis gewesen. Der Konstitutionalismus war soweit fortgeschritten, daß der König nur noch "zu funktionieren" brauchte. Das Kabinett brauchte ihn für Unterschriften, und das Volk sollte eine Repräsentationsfigur haben, eine konzertierte Aktion von und für Legitimität und Emotion.

Doch auch dieser Jüngling war, wie alle anderen Gymnasiasten, mit idealistischem, geschichtsgetränktem Bildungsgut angefüllt (um nicht zu sagen: abgefüllt) worden. Wozu also sollte ein König sonst da sein, wenn nicht zur Ausübung von Macht? Ludwig sah sich indes festgefügten Institutionen gegenüber, die ihn lediglich als ihren Diener brauchten. Dagegen mobilisierte er in der unschuldigen Vermessenheit der Jugend Bildungsmaterial, nahm es ernst und wörtlich, während es für das bestimmende Bürgertum des 19. Jhdts. nur Fassade und Dekor in einer doppelten Doppelmoral war: Kultur vs. Geschäft und Kultur vs. Triebleben. Beides blieb dem jungen Monarchen fremd.

 

Königliche Träume

In Wagner fand er denjenigen, der seine, Ludwigs Vorstellungen von Königtum, authentisch nachschaffen konnte - so paradox muß man diese Konstellation formulieren. Mit der Autorität des Künstlers konnte Wagner ihm sein Königtum bebildern und damit begründen, und die Autorität der Kunst hatte in dieser Zeit nach klassizistischer Kunstauffassung längst die Religion beerbt und galt unwiderleglich. So wurde das im Lohengrin als Gralsrittertum figurierte Königtum das passende Identifikationsangebot für Ludwig. Wagner instrumentierte die Ideologie, die Ludwig für sein Selbst- und Amtsverständnis brauchte, und geriet damit notwendig in Konkurrenz zum Kabinett, das Ludwig lediglich die prosaische Ideologie der Bürokratie bieten konnte. So gesehen war Wagner für Ludwig noch wichtiger als Speer für Hitler.

Wagners mythologische Kunst zelebrierte die Einheit von Person und Institution, und nur so konnte sich Ludwig mit seinem Amt identifizieren, der als Mensch darin auch den Zwiespalt zwischen Gefühl und Vernunft überwinden oder überwunden sehen wollte. Was Wagner lediglich als Theaterkulissen für seine Opern brauchte, konnte der königliche Bauherr in Stein und Wahrheit errichten, auch wenn diese durch Wirklichkeit nicht mehr gedeckt war. Wozu, wenn nicht zu königlicher Repräsentation, sollte Ludwig sein königliches Amt nütze sein? Das politisch durch die angeblich oder tatsächlich rückständigen Monarchien des Deutschen Bundes angeblich machtlos gehaltene Bürgertum flüchtete in die Innerlichkeit, Ludwig flüchtete als Amtsträger und öffentliche Person in die Äußerlichkeit. Ein Königtum als Wille zur Vorstellung, zur Darstellung seiner Idee.

Daß den Bauherrn die verschmähte und ignorierte Ökonomie dabei einholt, bremst und letzlich zu Fall bringt, macht die tragische Ironie dieses Lebens aus. Dazu gehört auch die Pikanterie, daß er sich den Kaiserbrief und die Einordnung ins deutsche Kaiserreich von Bismarck abkaufen ließ, nämlich jene Bauten subventioniert bekam, die ein Herrschertum verklärten, das spätestens durch eben diesen Konstitutionsakt gegenstandslos geworden war. Um wieviel stärker von den Zeitgenossen diese Unterwerfung von den Zeitgenossen empfunden wurde, als von Ludwig selbst, der seine Träume weiter alimentieren konnte, zeigt das pathetische Wort eines Ministers zur Reichsgründung: finis Bavariae.

Der jungfräuliche König

Ludwig war dem Idealismus seiner Zeit rettungslos ausgeliefert und daher verdammt, ihn auszuüben. Während sonst die Institution der Ehe und ein gesellschaftskonformes Triebleben für Korrektur sorgen, blieb Ludwig dieser Weg verschlossen. Er verfügte über ein akzeptables Lebens- und Partnerschaftsmodell ebenso wenig wie über ein angemessenes Herrschaftsmodell. Immerhin führte er den Belastungstest aus, wieviel Verrücktheiten man einem König durchgehen ließ. Erstaunlicherweise zeigte sich, daß Ludwigs Mythisierung schon zu Lebzeiten durch sein Junggesellentum - Folge seiner unterdrückten und geächteten Triebnatur - noch gefördert wurde. Ein jungfräulicher König lädt offenbar ein, Macht rein und edel zu personifizieren, ohne institutionelle Verunreinigung. Man vergleiche mit seinem Großvater Ludwig I., auch bauwütig, auch abgesetzt. Wie schäbig dagegen der Anlaß: eine triebhafte Affäre mit einer spanischen Tänzerin. Solche Albernheit und Lumperei ist jederzeit und allenthalben Ehealltag, so etwas will man nicht hören, nicht wissen, nicht haben.

Ludwigs Ausgrenzung mündete hingegen in kreative Exzentrik, obschon die architektonischen Mittel epigonal waren. Das ist, boshaft gesagt, postmoderne Beliebigkeit vor Erfindung der Postmoderne. Aber es ist auch zeitüblich, denn überall wurden, 500 Jahre nach dem Ende der Gotik, gotische Dome gebaut oder zu Ende gebaut und griechische Tempel fernab Griechenlands neu errichtet. Warum ist Münchens gotisches Rathaus weniger anstößig (und auratisch) als das gotische Neuschwanstein? Weil es eine Funktion erfüllt, Neuschwanstein aber eine Idee verkörpert.

Das notwendige, wenngleich ungewisse Ende

So ist die Art von Ludwigs Ende letztlich gleichgültig. Dieses Leben in gesellschaftlicher Ausgrenzung war in keinem Falle weiterzuführen, mochte es nun freiwillig oder gewaltsam beendet worden sein. Selbst, wenn er überlebt hätte, wäre Ludwig in Sicherungsverwahrung verschwunden und wie Nietzsche über viele Jahre hinweg seinem physischen Ende entgegengedämmert. Eine Flucht hätte ihn vollends seiner Ressourcen beraubt. Sein Selbstbild hatte er selbst demontiert, die Jugendschönheit durch Völlerei aus Frust vernichtet (wie sie ein anderer Hyperidealist der Zeit, Adalbert Stifter, ebenfalls betrieb). Nicht mehr bauen zu können, war bereits Ludwigs Tod, und die Teilnahme an physischer Affirmation, am Triebleben, war ihm ohnehin versagt. So fand sich ein opernhaftes Finale zu einem opernhaften Leben.